J. Hoffmann-Salz (Hrsg.): The Middle East as Middle Ground?

Cover
Titel
The Middle East as Middle Ground?. Cultural Interaction in the Ancient Middle East Revisited


Herausgeber
Hoffmann-Salz, Julia
Erschienen
Wien 2021: Holzhausen
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€ 89,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julian Wünsch, Universität Augsburg

Der zu rezensierende Band fasst die Ergebnisse einer Tagung zusammen, die im April 2017 in Köln stattfand und deren Ziel es war, das Potential des Middle Ground für die Erforschung des hellenistischen und römischen Nahen Ostens zu demonstrieren. Dieses Konzept hat der amerikanische Historiker Richard White für seine Untersuchung zu den Great Lakes zwischen 1650 und 1815 entwickelt:1 Um sich in der Region behaupten zu können, waren die europäischen Siedler auf die Kooperation mit der indigenen Bevölkerung angewiesen. Da auch die Einheimischen vom Handel mit den Kolonisten profitierten, einigten sich beide Parteien auf einen gemeinsamen Kommunikationsrahmen, den Middle Ground, wobei sie sich der Kultur des jeweils anderen annäherten. Wenngleich dieser Prozess von Missverständnissen geprägt war, ermöglichte er den gegenseitigen Austausch, solange das Machtgleichgewicht zwischen Europäern und Indigenen fortbestand und keine Seite ihre Interessen gewaltsam durchsetzen konnte. Auch andere Studien haben das Middle Ground-Konzept bereits zur Beschreibung antiker Entwicklungen verwendet, etwa für das seleukidische Babylonien2 und Baktrien3 oder das ptolemäische Ägypten.4

Der Tagungsband beginnt mit einem von Katharina Knäpper verfassten Beitrag (S. 19–36), der sich den hellenistischen Asylieverleihungen an Smyrna, Kos, Magnesia am Mäander, Teos und Kyzikos widmet. Bei der Privilegierung der kleinasiatischen Städte taten sich die Seleukiden besonders hervor: Hiermit verfolgten sie einerseits strategische Überlegungen, konnten sich so aber auch als rechtmäßige griechische Könige erweisen, während sie in anderen Teilen ihres Reiches orientalischen Traditionen folgten. Peter Franz Mittag (S. 37–64) beleuchtet die Übernahme seleukidischer Elemente in der Münzprägung der Parther sowie der Regionalkönige der Charakene (Südmesopotamien) und der Elymais (Südwestiran).5 Die in unterschiedlichem Maße vorgenommenen ikonographischen Veränderungen erklärt er mit Rücksichtnahmen auf Sehgewohnheiten und Hellenisierungsgrad der Bevölkerung, politischen Erwägungen und den vorherrschenden Machtverhältnissen; Missverständnisse nach Whites Konzept sind nicht anzunehmen. Der nächste Beitrag leitet zum Schwerpunkt des Buches über, den Städten und Dynasten der Levante: Achim Lichtenberger (S. 65–86) untersucht die quasi-munizipalen Bronzemünzen, die einige Städte Phönikiens erstmals unter Antiochos IV. prägten. Jene betonten ihre eigenen Traditionen, indem sie auf deren Rückseite lokale Gottheiten und Symbole abbildeten, begleitet von griechischen und phönikischen Legenden. Thematisch schließt sich der Aufsatz von Corinne Bonnet (S. 87–100) an, in dem die Bedeutung von Agonen in Tyros und Sidon erläutert wird. Julia Hoffmann-Salz (S. 101–116) kann durch eine Analyse der Bronzeprägungen des Ptolemaios, Sohn des Mennaios, aufzeigen, dass dessen Legitimationsstrategien an hellenistische Vorbilder anknüpften: Die von dem ituräischen Dynasten bevorzugten Götter, wie Zeus oder die Dioskuren, verbanden ihn mit dem Königtum der Seleukiden, während sie von der ortsansässigen Bevölkerung mit aramäischen und arabischen Gottheiten identifiziert wurden. Anhand der Inschriften aus dem südsyrischen Hauran zeichnet Annie Sartre-Fauriat (S. 117–127) die dortigen Verwaltungsstrukturen in der römischen Epoche nach. Rubina Raja (S. 129–146) beschäftigt sich mit der Rolle der Priester innerhalb der palmyrenischen Oberschicht, wobei sie deren Darstellungen auf Reliefs, Skulpturen und Tesserae analysiert. Im Anschluss führt David F. Graf (S. 147–178) den Herrscherkult der Nabatäer, den er mittels literarischer, epigraphischer, archäologischer und numismatischer Zeugnisse rekonstruiert, auf ptolemäische Vorbilder zurück.6 Die Aufsätze von Benedikt Eckhardt und Edward Dąbrowa (S. 179–197; S. 199–212) behandeln Judäa. Ersterer beschreibt das Gymnasion, das der Hohepriester Jason in Jerusalem einrichtete, als „Middle Ground par excellence“ (S. 192): Hier konnten die judäischen Eliten ihre Beziehungen zum Seleukidenhof verhandeln, während sie die griechische Institution gleichsam mit ihren religiösen Vorschriften in Einklang brachten, indem sie auf die Verehrung von Herakles oder dem König verzichteten. Dąbrowa arbeitet heraus, dass die Hasmonäer bedingt durch ihre Kontakte mit den Seleukiden nur in begrenztem Maße hellenistische Elemente übernahmen; weit größere Bedeutung maßen sie hingegen ihren religiösen Verpflichtungen bei. Daraufhin zeigt Sabine Müller (S. 213–229), wie Lukian von Samosata unter Bezugnahme auf die Argeaden und die hellenistischen Könige ironische Kritik an der Bildung, Redekunst und Historiographie seiner Zeitgenossen übte. Den Band beschließt David Engels (S. 231–266), der den Prozess der Hellenisierung mit der Sinisierung von Ostasien (4./3. Jh. v.Chr.) und der Arabisierung des Nahen Ostens (7./8. Jh. n.Chr.) vergleicht.

Nach der Lektüre bleibt der Nutzen des Middle Ground in Bezug auf den antiken Nahen Osten undeutlich: In mehreren Beiträgen spielt das Konzept allenfalls eine nachgeordnete Rolle. Der Versuch Rajas, es auf die Verhältnisse innerhalb der Stammesgesellschaft in Palmyra anzuwenden, erfüllt nicht Whites Definition einer „confrontation between imperial or state regimes and non-state forms of social organization“.7 Außerdem sind die Schlussfolgerungen der Aufsätze zu Phönikien gegensätzlich: Lichtenberger lehnt das Modell für seine Fallstudie ab, da die Phönikier seit Jahrhunderten Kontakte zu den Griechen unterhielten und daher keine tiefgreifenden kulturellen Unterschiede zu den Seleukiden bestanden hätten. Demgegenüber ist Bonnet von dessen Anwendbarkeit in Phönikien überzeugt, was sie zuvor auch in ihrer Monographie dargelegt hat.8 Festzuhalten bleibt, dass der Middle Ground geeignet scheint, die Beziehungen der Seleukiden oder Römer zu den örtlichen Machthabern und Eliten der Levante zu charakterisieren – dies wird nur in zu wenigen der Beiträge thematisiert. Positiv stimmt aber, dass der Tagungsband einen differenzierten Einblick in den Nahen Osten der hellenistischen und römischen Periode vermittelt und die kulturelle Vielfalt dieser Region greifbar macht, von den Phönikiern, Ituräern und Hasmonäern bis zu den Nabatäern und Palmyrenern.

Anmerkungen:
1 Richard White, The Middle Ground. Indians, Empires, and Republics in the Great Lakes Region, 1650–1815. Twentieth Anniversary Edition (Studies in North American Indian History), Cambridge 2011, S. XI–XXIV, S. 50–53.
2 Rolf Strootman, Babylonian, Macedonian, King of the World: The Antiochos Cylinder from Borsippa and Seleukid Imperial Integration, in: Eftychia Stavrianopoulou (Hrsg.), Shifting Social Imaginaries in the Hellenistic Period. Narrations, Practices, and Images (Mnemosyne Suppl. 363), Leiden/Boston 2013, S. 67–97; Lauren Ristvet, Between Ritual and Theatre: Political Performance in Seleucid Babylonia, in: World Archaeology 46.2 (2014), S. 256–269; Jeremy McInerney, Fish or Man, Babylonian or Greek? Oannes between Cultures, in: Thorsten Fögen / Edmund Thomas (Hrsg.), Interactions between Animals and Humans in Graeco-Roman Antiquity, Berlin/Boston 2017, S. 253–273.
3 Rachel Mairs, The Hellenistic Far East. Archaeology, Language, and Identity in Greek Central Asia, Oakland 2014, S. 187.
4 Ian S. Moyer, Finding a Middle Ground: Culture and Politics in the Ptolemaic Thebaid, in: Peter F. Dorman / Betsy M. Bryan (Hrsg.), Perspectives on Ptolemaic Thebes. Papers from the Theban Workshop 2006 (Studies in Ancient Oriental Civilization 65), Chicago 2011, S. 115–145; Gilles Gorre, The Satrap Stela: A Middle Ground Approach, in: Journal of Egyptian History 10.1 (2017), S. 51–68.
5 Eine lesenswerte Studie zu diesen drei Königreichen ist M. Rahim Shayegan, Arsacids and Sasanians. Political Ideology in Post-Hellenistic and Late Antique Persia, Cambridge 2011, S. 60–168.
6 Zu überlegen ist, ob der Gott Obodas mit dem gleichnamigen Nabatäerkönig identisch sein könnte, der auf einer kürzlich im Münzhandel aufgetauchten Drachme abgebildet wird. Dieser scheint im 2. Jh. v.Chr. regiert zu haben, noch vor Obodas I. (ca. 99/96–85 v.Chr.), vgl. Oliver D. Hoover, An Obodas before Obodas I? The Implications of a New Nabatean Coin Type, in: Touraj Daryaee / Judith A. Lerner / Virginie C. Rey (Hrsg.), Dinars and Dirhams. Festschrift in Honor of Michael L. Bates (Ancient Iran Series 11), Irvine 2020, S. 139–149.
7 White, Middle Ground, S. XII.
8 Corinne Bonnet, Les enfants de Cadmos. Le paysage religieux de la Phénicie hellénistique (De l’archéologie à l’histoire 63), Paris 2015.

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